Hilfe für Flüchtlinge "Die Perspektivlosigkeit ist das Schlimmste"

von Aktion Deutschland Hilft 

Laut den Vereinten Nationen (UN) leben aktuell 6,6 Millionen Geflüchtete in Camps. Wie geht es dort zu? Und was erleben die Menschen auf dem beschwerlichen Fluchtweg dorthin? Axel Schmidt gibt Antworten. Er ist Nothilfe-Koordinator beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), einer Bündnisorganisation von Aktion Deutschland Hilft. Und seit 20 Jahren als Helfer im Einsatz, unter anderem im Südsudan, in Haiti, Bangladesch, Pakistan, Indonesien und der Türkei. 

Es gibt detaillierte Standards und Indikatoren, wie ein Camp für Geflüchtete aufgebaut sein sollte: Wohnfläche pro Person, Anzahl der Duschen und Toiletten, medizinische Versorgung etc. – warum werden diese Standards oft nicht eingehalten?

Sie können oftmals nicht eingehalten werden, vor allem, weil es an Ressourcen fehlt, also an Geld und Material. Manchmal auch an politischem Willen. Außerdem kommen oft viel mehr Geflüchtete in die Camps als erwartet – dann müssen eben mehr Menschen mit weniger versorgt werden.

Wie sieht die Realität in Camps aus?

Die Zustände sind sehr unterschiedlich. Ich habe Camps mit Zelten von guter Qualität gesehen, die der Witterung standhalten. Ich war aber auch schon in Camps mit Zelten, die der Regen sofort wegschwemmt. Die schlimmsten Lager, die ich gesehen habe, waren die der Rohingya in Bangladesch. Die Geflüchteten aus Myanmar waren auf einem gerodeten, teils abschüssigen Areal gestrandet, anfangs bauten sie sich ihre Behausungen aus Plastiktüten und Stroh.

Die Menschen haben oft nicht ausreichend Essen und sauberes Wasser, die sanitären Einrichtungen können in einem schlimmen Zustand sein, die Männer- und Frauentoiletten sind oft nicht klar getrennt und nicht ausreichend beleuchtet. 

Unsere Hilfe macht aber einen Unterschied für die Geflüchteten! Da ist es gut, dass wir im Bündnis Aktion Deutschland Hilft Generalisten und Spezialisten unter den Organisationen haben. So können wir unter anderem Nahrung, Wasser und Bargeldhilfen verteilen, für bessere hygienische Bedingungen, für Unterkünfte und Ausbildung sorgen. 

Was ist Ihrer Erfahrung nach das Schlimmste für die Betroffenen?

Nicht der Mangel an Essen oder ähnliche Entbehrungen. Sondern die völlige Perspektivlosigkeit:  wenn ein Familienvater nicht arbeiten, sondern sich nur noch in einer Schlange anstellen kann, um etwas zu bekommen; wenn Kinder nicht spielen und nicht zur Schule können; wenn Familien nicht wissen, wann sie zurück in ihre Heimat können - denn da wollen sie ja wieder hin. Nicht mehr Herr über sein Leben zu sein, das ist das Schlimmste. 

Diese Perspektivlosigkeit wird verschärft durch die lange Verweildauer in den Camps?

Ja, die Vorstellung, dass das nur eine Übergangslösung sind, ist total überholt. Das mag so sein im Falle von Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen in einem Land, das Kapazitäten zum Wiederaufbau hat. Aber wenn Geflüchtetencamps aufgrund langwieriger Krisen entstehen, leben Menschen jahrelang, jahrzehntelang dort. Und da kommt niemand und sagt: Deine Hütte reißen wir jetzt ab, du bekommst was Besseres. Dafür fehlt meist das Geld. Deshalb sollte bei der Einrichtung der Camps gleich auf nachhaltige, längerfristige Lösungen gesetzt werden.

Wie erleben Sie die Menschen bei Ihren Besuchen in Camps?

Die Menschen wollen sich nicht als Opfer fühlen, und sie wollen nicht nur nehmen, sondern auch geben. Wenn ich ihr Zelt als Gast betrete, wollen sie mir etwas anbieten, und sei es nur einen Keks. Es geht um die Menschenwürde. Wir haben ja so ein Bild im Kopf, dass das nur arme und hilfsbedürftige Menschen sind, die ihr letztes Hab und Gut zusammengenommen haben und Hilfe brauchen. Das stimmt, aber sie habe auch ganz viele Fähigkeiten, um über die Runden zu kommen! Wer es geschafft hat, eine extrem gefährliche Flucht zu überleben, dem muss man nicht erklären, wie er einen Tag ohne Essen auskommt.

Was erleben die Menschen auf der Flucht?

Bei meinem Einsatz im Südsudan habe ich meinen Mitarbeitern zugehört, die alle ehemalige Kindersoldaten waren. Ich war dort für eine Entminungs-Organisation tätig. Einer dieser Mitarbeiter erzählte sehr eindrucksvoll, dass er mit seiner Familie, einer Gruppe von rund 20 Personen, vor kriegerischen Auseinandersetzungen geflohen ist. Hyänen und Löwen waren die Hauptgefahr bei den Märschen durch den Busch. Und Antonow-Flugzeuge öffneten ihre Klappen, sobald sie Menschen sahen, und warfen Bomben ab. Die Familie rannte um ihr Leben. Und musste danach ihre Habe wieder einsammeln. Sie übernachteten im Busch, kauerten sich unter Decken und Planen zusammen. Monatelang ging das so.

Aber Flüchtende erleben auch immer wieder eine unglaubliche Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft in den Gastgemeinden, die ja oft selbst sehr arm sind. Diese beeindruckende Solidarität habe ich als Helfer immer wieder mitbekommen. Von den Reichen kann man sparen lernen, von den Armen kann man teilen lernen.