von CARE
Sarah Easter ist Referentin für Nothilfe-Kommunikation unserer Bündnisorganisation CARE. Sie ist immer wieder in Krisengebieten unterwegs - vor kurzem in Syrien. Ein Jahr nach dem Regierungswechsel im Dezember 2024 erzählt sie in einem Interview über Lage im Land.
Heizen mit Schuhen und Plastikflaschen
CARE: Frau Easter, Sie waren vor kurzem in Syrien unterwegs - wie war Ihr Eindruck vom Land und den Menschen?
Sarah Easter: Vor Ort sieht man deutlich, was 14 Jahre Konflikt wirklich für Auswirkungen haben. In vielen Nachbarschaften sind nur noch Ruinen übrig. Zwischen offenen Dächern und eingestürzten Stockwerken sieht man immer noch Wäscheleinen mit Kinderkleidung hängen. Die Menschen können sich nicht leisten können, woanders zu leben.
Und in den Camps, in denen Vertriebene leben, steht der Winter vor der Tür. Die Menschen sammeln gerade alles, was sie finden und verbrennen können, damit sie warm bleiben - also Schuhe oder auch so etwas wie Plastikflaschen.
Sie konnten auch mit Menschen sprechen, die zurückgekehrt sind - was sagen die Ihnen? Wie sieht deren Leben aktuell aus und mit welchen Herausforderungen haben die zu kämpfen?
Ich habe mit einem Mann gesprochen, der kurz nach dem Regierungswechsel letzten Jahres zurückgekehrt ist und sein Haus nicht finden konnte. Er konnte nicht mal die Straße identifizieren, wo er mal gewohnt hatte.
Mein Kollege von CARE, der vor drei Monaten nach Aleppo zurückgekehrt ist, hat nur alle vier Tage Wasser in seiner Wohnung. Auch Strom steht nur stundenweise zur Verfügung. Er hört regelmäßig Explosionen und Schusswechsel, weil die Spannungen weiterhin anhalten.
Die Lage vor Ort: Ein Überblick
Fast 14 Jahre herrschte in Syrien Krieg. Anfang Dezember 2024 wurde der bisherige Staatspräsident Baschar al-Assad gestürzt. Innerhalb weniger Wochen hatte eine Allianz aus Oppositionsgruppen die Kontrolle über die wichtigsten Städte des Landes übernommen. In großen Teilen der Zivilbevölkerung keimt nun vorsichtige Hoffnung auf Frieden und Normalität.
Die humanitäre Lage in Syrien ist weiterhin instabil.
- Ein Großteil der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Bereits jetzt sind mehr als 16 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.
- Nach fast 14 Kriegsjahren ist die medizinische Infrastruktur stark geschwächt, viele Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen sind geschlossen oder bieten nur Notdienste an.
- Die Lebensmittelpreise sind explodiert und die Lebensmittelknappheit verschärft sich.
- Weiterhin befinden sich viele Menschen auf der Flucht. Sie sind aufgrund der jüngsten Ausschreitungen vertrieben worden oder auf dem Weg zurück in ihre Heimatregion.
- Auch die humanitäre Lage in den Flüchtlingscamps bleibt schwierig. Viele davon sind überfüllt.
- Eine große Gefahr für die Zivilbevölkerung sind die Kriegsreste überall im Land.
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis von mehr als 20 Hilfsorganisationen, ist weiterhin für die Menschen in und aus Syrien im Einsatz. Helfen Sie uns, zu helfen – mit Ihrer Spende!
Auch nach dem Machtwechsel Anfang Dezember 2024 sind die Bündnisorganisationen und ihre Partner vor Ort sind weiter aktiv und weiten ihr Engagement – soweit es die Sicherheitslage zulässt – weiter aus.
Insgesamt ist die Lage sehr volatil, die regionalen Unterschiede sind groß. Die Helfer:innen vor Ort prüfen die Möglichkeiten des Zugangs täglich neu.
Einige Bündnisorganisationen, darunter CARE, die Johanniter, Arbeiter-Samariter-Bund, Help – Hilfe zur Selbsthilfe, action medeor und Handicap International, sind schon lange selbst in Syrien oder über Partnerorganisationen aktiv. Auch nach dem Machtwechsel führen sie ihre Projekte zum großen Teil weiter durch. Die Mitarbeiter:innen beurteilen die Sicherheitslage aber täglich neu.
Beispiele für die Hilfe der Bündnisorganisationen:
- Unsere Bündnisorganisationen verteilen Versorgungpakete mit Lebensmitteln.
- Wir unterstützen Familien mit Babynahrung und Windeln, Medikamenten und Hygienekits.
- Wir sorgen für sicheren Zugang zu Trinkwasser und setzen Brunnen in Stand.
- Und wir verteilen warme Schuhe, Jacken und Decken gegen die Kälte im Winter.
- Für die Menschen, die auf der Flucht sind, schaffen wir Unterkünfte – in Syrien und in den Nachbarländern.
- Wir unterstützen Menschen, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Krieg und auf der Flucht traumatisiert sind.
- Langfristig ist geplant, beim Wiederaufbau der zerstörten Gebäude und Infrastruktur mitzuwirken.
Danke, dass Sie Herz zeigen und helfen. Erst Ihre Spende ermöglicht unsere Hilfe für Familien aus Syrien. Ihr Engagement ist großartig!
Die meisten Bündnisorganisationen sind seit mehreren Jahren in Syrien, der Türkei oder auch im Irak mit lokalen Partnerorganisationen vernetzt und leisten gemeinsam mit ihnen Hilfe. Einige Organisationen verfügen in Syrien über eigene Länderbüros, in denen lokale Helfer:innen arbeiten. Diese Mitarbeiter:innen kennen die Region und insbesondere die Menschen, für die Hilfe geleistet wird, am besten.
- Libanon: Die wirtschaftliche und politische Lage im Libanon ist sehr angespannt. Die Inflation ist hoch, die Arbeitslosigkeit steigt und Spannungen zwischen der libanesischen Bevölkerung und syrischen Geflüchteten nehmen zu.
- Türkei: Viele syrische Geflüchtete waren von der Erdbebenkatastrophe 2023 betroffen. Ein Großteil der Menschen lebt in schwierigen Verhältnissen mit unzureichender Hygiene. Zugang zu Sprachkursen und zum Arbeitsmarkt haben die Menschen in der Türkei kaum.
- Jordanien: Mehr als 80 Prozent der Geflüchteten wohnen außerhalb von Flüchtlingscamps am Rande von Städten. Viele syrische Familien in Jordanien leben unterhalb der Armutsgrenze.
Was genau macht CARE vor Ort in Syrien?
CARE hat mehrere Projekte in Syrien. Wir bauen die Wasserversorgung für Nachbarschaften oder für Camps, wo Vertriebene leben, aus. Auch die Verteilung von Winterkleidung für Kinder und Bargeld gehört zu unseren Tätigkeiten. CARE betreibt zudem ein Mutter-Kind-Krankenhaus.
Sie haben dieses Krankenhaus in Nordsyrien vor kurzem besucht - wie wird dort gearbeitet und wie wichtig ist diese Einrichtung für die Region?
Die Gesundheitsversorgung in der Region steht wirklich kurz vorm Kollaps. Das Krankenhaus musste schon die Hälfte des medizinischen Personals gehen lassen, da einfach das Geld fehlt. Gleichzeitig kommen aber immer mehr Patient:innen: Dies ist das einzige noch funktionierende Krankenhaus, das medizinische Versorgung für Mütter und ihre Kinder gewährleisten kann.
Wir haben Fälle von Frauen, die stundenlang von Krankenhaus zu Krankenhaus geschickt werden und dann letztlich das von uns betriebene Krankenhaus finden - aber auch dort oft teilweise ihre Kinder noch auf der Türschwelle bekommen.
Was wird nun gebraucht?
Was es braucht, ist langfristige Finanzierung. Seit April ist CARE gezwungen, mit minimalen Ressourcen weiterzumachen, da das Geld gekürzt wurde. Und bis Ende Januar reicht es noch, um das Krankenhaus am Leben zu erhalten. Aber was dann?
Es herrscht wirklich eine unglaubliche Angst in der Region, dass auch dieses Krankenhaus schließen muss. Syrien braucht einfach weiterhin die Aufmerksamkeit und die Finanzierung, damit die Menschen dort nicht im Stich gelassen werden.
Was bewegt Sie besonders während ihres Besuchs?
Ich bin schockiert darüber, wie einseitig die Diskussionen über Syrien in der Öffentlichkeit sind. Ich habe mit so vielen Menschen gesprochen, die 14 Jahre lang die schlimmsten Dinge erlebt haben. Darunter eine 76-Jährige, die im Winter Eis mit einem Löffel zerschlägt, um an Trinkwasser zu kommen.
Das bewegt mich sehr, und ich wünsche mir, dass es in der öffentlichen Diskussion nicht in Vergessenheit gerät. Syrien braucht Zeit, um sich wieder aufbauen zu können.
+++ Spendenaufruf +++
Aktion Deutschland Hilft, Bündnis der Hilfsorganisationen,
bittet dringend um Spenden für die Nothilfe in Syrien:
Stichwort: Nothilfe Syrien
IBAN DE62 3702 0500 0000 1020 30, BIC: BFSWDE33XXX
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