von Lea Auffarth, Nominierte des Journalistenwettbewerbs
„Den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ hat sich Guatemala mit Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 verpflichtet. Doch in dem Land wird nicht besonders viel davon umgesetzt: Diskriminierung und Tabuisierung und Menschen mit Behinderung ist in Gesellschaft und Staat die Regel.
Doch gerade in einem Land, das so häufig von Naturkatastrophen heimgesucht wird, brauchen Menschen mit Behinderung besondere Aufmerksamkeit. Katastrophennachsorge und –prävention werden von humanitären Hilfsorganisationen geleistet, unter anderem von AWO International rund um den Lago Atitlan in Guatemala. Die folgenden Eindrücke sind bei einem Projektbesuch im Rahmen des Journalistenwettbewerbs von Aktion Deutschland Hilft in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt entstanden.
Guatemala ist nicht nur eines der ärmsten Länder der Welt, sondern wird auch häufig von Naturkatastrophen erschüttert. Ein Großteil der Bevölkerung ist Vulkanausbrüchen, Erdbeben oder Erdrutschen fast schutzlos ausgesetzt. Anfang Oktober 2015 rutschte ein Hang auf das Dorf El Cambray Dos herab und begrub es fast vollständig. Mindestens 280 Menschen verloren ihr Leben, etliche werden weiterhin in den Trümmern vermisst.
Besonders gefährdet bei solchen Katastrophen sind die ärmeren und schwächeren der Gesellschaft. Aufgrund ihrer Armut bleibt vielen Guatemalteken kaum etwas anderes übrig als in Hochrisikogebiete, zum Beispiel in Täler oder an den Fuß von aktiven Vulkanen, zu ziehen. Auch wenn den Behörden die Gefahr der Orte bekannt ist, gibt es kaum Umsiedlungsprojekte.
In einem Land, in dem Erdbeben und Schlammlawinen an der Regel sind, braucht es Notfallpläne und Präventionsarbeit. Frühwarnsysteme und Evakuierungswege sind in diesen Siedlungen kaum vorhanden. Oft kommt die Erkenntnis erst nach großen Katastrophen, wie hier in der Gemeinde Panabaj, die im Jahr 2005 vollständig von einem Erdrutsch zerstört wurde. Da nach dem Erdrutsch aber vor dem Erdrutsch ist, wäre Katastrophenprävention nötig. Oft übernehmen humanitäre Hilfsorganisationen diese Projekte, denn der Staat stellt keine Mittel dafür zur Verfügung.
Diese Präventionsprojekte wenden sich in spezieller Weise an Menschen mit Behinderung, da diese in Katastrophen besonders gefährdet sind. Nicht nur wegen ihrer physischen und mentalen Besonderheiten, sondern vor allem auch wegen ihrer Stellung in der guatemaltekischen Gesellschaft haben Menschen mit Behinderung es in Katastrophenfällen besonders schwer. Sie werden ausgegrenzt und bekommen keine Unterstützung vom Staat. Besonders in traditionellen Dorfgemeinschaften gilt Behinderung oft noch als Schande. Das Thema wird tabuisiert, Kinder mit Behinderung werden oft versteckt.
Rund um den Lago Atitlan, am Fuße von drei Vulkanen, liegen viele kleine und größere Dörfer. Die Anwohner des Sees sind mehrheitlich Maya der Stämme Cakchiquel, Quiché und Tzutuhil – recht arm und sehr traditionsbewusst. Inklusion von Menschen mit Behinderung gibt es auch hier nicht, dennoch ist die Situation rund um den See besonders. Einige Organisationen kümmern sich um Menschen mit Behinderung, um ihre persönlichen Bedürfnisse und auch um politische Arbeit.
Jorge Tzunun lebt in der kleinen Gemeinde Quixayá, in der Nähe des Lago Atitlan. Selbst stark sehbehindert hat er einen Verein in seinem Dorf gegründet, der Braille-Unterricht, Mal-, Musik- und Physiotherapie anbietet und sogar den Bau von Wohnhäusern mitfinanziert. Fördermittel bekommt er nicht. Alles, was der Verein anbietet, finanziert Jorge Tzunun mit zwei Lebensmittelgeschäften, die er selbst aufgebaut hat und gemeinsam mit seiner Familie betreibt.
Rehabilitation, also möglichst viele körperliche und geistige Fähigkeiten zu aktivieren, gehört genauso zum Konzept der Adisa-Schule wie der Unterricht. Durch Stiftungen und Spenden können eine Physiotherapeutin und Golden Retriever Moss mit den Kindern arbeiten. Azucena (5) hat so innerhalb eines Jahres laufen gelernt. Auch Katastrophenübungen können nur durch die externe Finanzierung stattfinden.
Adisa ist eine staatliche Regelschule für Kinder mit Behinderung. Staatlich ist allerdings relativ, denn nur ein verschwindend geringer Teil wird tatsächlich vom Bildungsministerium bezahlt. Den Großteil der Kosten, die eine angemessene Bildung verlangt, trägt ein privater Verein: Inventar, Schulbücher, Lehrer, Physiotherapeuten, Logopäden, Psychologen etc. Der Staat beteiligte sich unter anderem mit 50 Stühlen, die nun in der Ecke stehen, da kaum ein Kind mit Behinderung darin sitzen kann.
Menschen mit Behinderung sind in Guatemala ausgegrenzt. Von der Schulbildung über die Zugänglichkeit von öffentlichen Plätzen oder Straßen bis hin zur wirtschaftlichen Situation – in jedem Bereich des Lebens treffen sie auf Schwierigkeiten und Ablehnung. Eine Möglichkeit Respekt und ein Gesicht zu bekommen ist Arbeit. Die Gemeinde sieht, dass sie zu etwas in der Lage sind und lernen die Qualität der Arbeitsleistung zu schätzen. Daher sieht sich zum Beispiel Adisa nicht nur als eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung sondern auch als eine gesellschaftliche Institution.
Auch persönlich ist Arbeit ein wichtiger Schlüssel zur Inklusion von Menschen mit Behinderung. Ohne ein Einkommen können sie kaum am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Hilfsmittel wie Prothesen oder Rollstühle werden kaum von Staat bezahlt, viele müssen selbst dafür sorgen. Ausgehen, Konzerte besuchen, Busfahren – Geld dafür müssen sie selbst verdienen, denn finanzielle Unterstützung bekommen sie nicht. Das meiste Geld wird jedoch genutzt um die eigene Familie zu unterstützen.
Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist in Guatemala selten und noch seltener in politischen Ämtern. Ariel López ist eine Ausnahme, denn er arbeitet als Beauftragter für Menschen mit Behinderung im Gemeindebüro von Panajachel. Wie lange er diesen Job noch hat ist allerdings unklar: Die zwei letzten Bürgermeister der Gemeinde haben sich dem Thema Behinderung gegenüber offen gezeigt, doch bald stehen Wahlen an. Ob seine Stelle verlängert wird oder Menschen mit Behinderung überhaupt ein Mitspracherecht in lokalen Belangen haben hängt stark vom Interesse der Politiker ab.