Luise Amtsberg, Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, spricht mit Aktion Deutschland Hilft über die Lage von Geflüchteten aus der Ukraine, die Rolle der Bundesregierung und die aktuelle Krise im Kontext weltweiter Entwicklungen.
Aktion Deutschland Hilft: Frau Amtsberg, Sie waren selbst kürzlich an der polnischen Grenze, welche Eindrücke bringen Sie von dort mit?
Luise Amtsberg: Von den über 5 Mio. Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine in Nachbarstaaten geflohen sind, sind über die Hälfte in Polen untergekommen (Stand 6. April 2022).
Was diese Zahlen in der Realität bedeuten, hat sich mir auf meiner Reise deutlich gezeigt: Trotz größter Anstrengungen fehlt es an Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten, die polnischen Strukturen sind stark belastet.
In dieser schwierigen Situation sind gerade vulnerable Gruppen wie Frauen und Kinder nur unzureichend geschützt. Gleichzeitig ist die Solidarität in der polnischen Zivilgesellschaft außerordentlich und beeindruckend.
Was mich sehr besorgt, sind die Berichte über die staatliche Ungleichbehandlung und gar Inhaftierung von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color), die aus der Ukraine geflohen sind. Diese dürfen nicht unkommentiert bleiben, denn der Krieg in der Ukraine trifft alle dort lebenden Menschen und sie alle haben ein Recht auf Schutz und Sicherheit in den Nachbarländern.
In welcher Rolle sehen Sie die Bundesregierung mit Blick auf die Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine in Europa?
In Gesprächen mit Helfer:innen des Roten Kreuzes, des THW und mit den lokalen Behörden wurde klar, dass Polen von der EU und der Bundesrepublik insbesondere beim Thema finanzielle Unterstützung und Hilfslieferungen, sowie bei der Umverteilung Geflüchteter dringend Unterstützung braucht. Die Bundesregierung hat mit der Aktivierung der Richtlinie über vorübergehenden Schutz für Ukraine-Flüchtlinge auf europäischer Ebene einen präzedenzlosen und notwendigen Schritt getan, um Geflüchtete schnell und unbürokratisch aufzunehmen.
Nun gilt es, Geflüchtete, die in andere EU-Länder weiterreisen wollen, zu unterstützen. Das gilt sowohl für die EU-Nachbarländer der Ukraine als auch die Republik Moldau als Drittstaat. Die Zusage der Außenministerin, per Luftbrücke aus der Republik Moldau Menschen direkt zu übernehmen, war ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung. Und auch die Geberkonferenz, bei der knapp 700 Millionen Euro als direkte Hilfe eingeworben wurden, leistet einen wichtigen Beitrag.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Koordinierung von staatlicher Hilfe, Hilfsorganisationen und Freiwilligen? Wie können Lösungen aussehen?
Eine große Herausforderung besteht darin, bei den großartigen Hilfsangeboten aus der Zivilbevölkerung dennoch die Sicherheit der flüchtenden Menschen durch ein Mindestmaß an staatlicher Übersicht zu gewährleisten. Dies ist mir als Menschenrechtsbeauftragte ein besonderes Anliegen und die Berichte von Menschenhandel, Missbrauch und Betrug haben mich zutiefst besorgt.
Gerade im Sinne einer feministischen Außenpolitik hat der Schutz fliehender Frauen und Kinder oberste Priorität. Einen Lösungsansatz stellt dabei die verstärkte Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene dar: Die über 400 deutsch-polnischen Partnerstädte tragen schon jetzt dazu bei, Hilfslieferungen und Umverteilungen von Geflüchteten zwischen den beiden Staaten besser zu kontrollieren, ohne die schnellen zivilen Prozesse durch langwierige Verfahrenswege auszubremsen.
Sie fordern auch die Einrichtung von humanitären Visa für oppositionelle Russinnen und Russen, warum ist Ihnen das ein besonderes Anliegen?
Die Gefährdungslage für Menschenrechtsverteidiger:innen und Regime-Kritiker:innen in Russland, die sich bereits seit einigen Jahren zugespitzt hat, hat sich mit Beginn des Krieges in der Ukraine nochmals dramatisch verschlechtert. Ich halte es für unsere demokratische Pflicht, und als Menschenrechtsbeauftragte für meine besondere Aufgabe, diesen Menschen in Deutschland Schutzmöglichkeiten zu eröffnen.
Das ist auch deshalb wichtig, damit die Menschen weiterhin ihrer Arbeit für Demokratie und Menschenrechte nachgehen können. Die Antwort auf diese Frage kann nicht das Asylsystem sein. Deshalb setze ich mich dafür ein, diesen Menschen auf andere Weise die sichere Ausreise und den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen.
Unser Aufenthaltsrecht sieht verschiedene Möglichkeiten für humanitäre Aufnahmen vor. In Gesprächen auf verschiedenen Ebenen bin ich dabei, auszuleuchten, inwiefern wir diese Möglichkeiten effektiv und umfassend nutzen können, um den Menschen aus Russland Schutz zu bieten.
Der Krieg in der Ukraine verschärft die humanitäre Situation für Geflüchtete weltweit unter anderem durch Nahrungsmittelknappheit. Welche Krisen sollten ein besonderes Augenmerk bekommen und wie kann eine ganzheitliche Strategie zur Verbesserung der Situation aussehen?
Die durch den Krieg in der Ukraine verschärfte Nahrungsmittelknappheit ist ein globaler Spill-Over-Effekt, der weltweit gerade vulnerable Gruppen – Schwangere, stillende Mütter – trifft. Weltweit werden insbesondere die importabhängigen Länder des globalen Südens von den Preissteigerungen betroffen sein.
Statt einem Verteilungskampf sollte diesen Ländern bereits jetzt Unterstützung in Form von humanitärer Hilfe zukommen. Eine nicht-nachhaltige Produktionssteigerung darf nicht die Lösung sein; stattdessen müssen die vorhandenen Nahrungsmittelbestände besser verteilt und effizienter eingesetzt werden.
Seit der Ukraine ist vieles in Bewegung geraten: Zukünftig könnte es immer wieder Fluchtbewegungen geben. Welche Strukturen brauchen wir in Deutschland, um diesen begegnen zu können?
In der Aktivierung der Richtlinie wurde den aus der Ukraine geflüchteten Menschen Vieles ermöglicht, was anderen Geflüchteten verwehrt blieb: Legale Einreise, schnelle Aufnahme, der Zugang zum Arbeitsmarkt. Dies sind Forderungen, die wir Grüne in der Opposition bereits in anderen Krisen geäußert haben und nun als Bundesregierung umsetzen.
Gleichzeitig darf es nicht zu einer dauerhaften Ungleichbehandlung zwischen Geflüchteten kommen: Der Paradigmenwechsel, der im Umgang mit den Ukraine-Flüchtlingen von der Bundesregierung eingeleitet wurde, muss beibehalten und auf andere Krisensituationen übertragen werden.
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